Naturcoaching um den Isenachweiher stand auf dem Plan. Dieses Mal sollten sie alle zu Hause bleiben. Ich wollte sie schützen vor den freilaufenden Hunden, deren Menschen nicht verstehen, dass es kein Spaß ist für blinde Hunde, wenn ihr Vierbeiner auf meine zupoltert. Hannah aber zeigte sich stur. Als ich das Haus verlassen wollte, wich sie keinen Millimeter von meiner Seite. „Du bleibst mit den anderen hier.“ „Ich gehe mit.“ Sie legte den Kopf schräg und hielt innerlich Ausschau nach meinen Gedanken. Es folgte eine wortlose Diskussion. Eine Minute später saßen wir im Auto.

Die Dame, die wir am Weiher trafen, kannte Hannah schon. Während wir im intensiven Gespräch waren, versuchte meine befellte Coach-Assistentin uns – wieder recht beharrlich – klar zu machen, dass wir bitte unbedingt die Richtung wechseln müssen! Meiner Begleitung fiel das auf und wir wechselten die Richtung. Es dauerte nicht lange, bis uns ein interessantes Pärchen entgegenkam. Eine junge Frau ging behutsam im Gespräch neben einer alten Dame, die sie wohl aufgrund ihres unsicheren Ganges liebevoll an der Hand hielt. Trennung, Angst vor der Zukunft, Traurigkeit, Ratlosigkeit schlugen mir entgegen. Doch ich stoppte die Wahrnehmung, schließlich steht mir nicht zu ungefragt in den Gefühlen anderer herumzuschauen, abgesehen davon, dass ich mich meinen BegleiterInnen zu hundertprozentiger Aufmerksamkeit verpflichte. Hannah sah das anders. Ihr Fokus lag auf den beiden Frauen und als sie an uns vorbeiliefen, während wir einander freundlich grüßten, heftete sie zielstrebig ihre Nase in die Kniekehlen der älteren Dame. Mit freundlichem, aber unsicherem Lächeln drehten die zwei sich zu uns um. „Würden Sie einen Moment anhalten, bitte? Meine Hündin hat Ihnen etwas zu sagen.“ Selten lasse ich das zu, zumal die meisten Leute, denen meine freiwilligen Therapeuten in Fell einen kurzen Liebesgruß mitgeben wollen meinen, sie suchten nach Futter. Ich lasse sie dann in dem Glauben und wir ziehen weiter. Jetzt aber war unmissverständlich zu erkennen, dass Hannah und ich mal kurz die Rollen tauschen würden. So wurde meine Assistenzhündin zum Coach und ich zum Assistenzmenschen, während meine ursprüngliche Gesprächspartnerin liebevoll die Szene beobachtete. Motiviert durch die fragenden Blicke der Frauen übersetzte ich Hannahs zielsicheres Engagement: „Sie scheinen Kummer zu haben und Hannah möchte Ihnen etwas mit auf den Weg geben.“, formulierte ich vorsichtig, ohne die Privatsphäre der beiden allzusehr zu berühren. Erstaunt erleichterte Gesichter schauten auf weißes Fell. Augen und Mund der jüngeren Dame sprachen zärtlich Bände in Richtung der älteren. „Siehst du, Mama, wie lieb sie ist!“ Zu meiner Begleiterin und mir meinte sie: „Mein Vater liegt im Krankenhaus und das bedrückt meine Mutter sehr.“ Ich lächelte und ließ Hannah machen. Zögerlich bückte sich die Mutter zu Hannah und begann sie zu streicheln. Erst zaghaft, dann zunehmend liebevoller. Hannah ließ sie gewähren und strahlte ihre Liebe aus. Als die beiden fertig waren, bemerkte die alte Dame: „Seit meiner Kindheit habe ich keinen Hund mehr angefasst. Denn damals …..“ Es folgte die kurze Schilderung einer traumatischen Erfahrung. Ich schwieg, lächelte und nickte. Schließlich war ich lediglich Assistenzmensch. Die beiden sahen glücklich aus. Hannah nahm das wahr und drehte sich um, Job erledigt, wir konnten weiter gehen.

Ein liebevolles, fröhliches „Tschüs, Hannah! Danke für dein tolles Geschenk, Hannah! Liebe Frauchen hast du, Hannah!“, klang als Abschiedsgruß hinter uns her und das Fleckchen Erde, das wir fünf hinterließen, schien ein wenig heller zu sein, als vorher.

In diesem Sinne,

bleibt bei euch und in der Liebe,

eure Claudia M. Struwe

 

Meine erste Antwort auf diese Frage lautet: Weil es fair ist. Wer von uns geht gern zum Arzt, zur Heilpraktikerin oder in eine Klinik ohne zu wissen, was warum wann und wie an der eigenen Person gemacht wird? Ganz ehrlich, als ich in meiner Kindheit mit vierzehn an meinem Knie operiert wurde mit der Option der Amputation, wollte ich einfach alles wissen. Ich ließ mir sogar die Instrumente zeigen, mit denen das Bein abgesägt werden würde. Auf einem Tablett haben die Ärzte mir ihre Werkzeuge gebracht und genau erklärt, wie das geht. Dann wollte ich wissen, wie es denn danach weiter gehen sollte. Für meine Mutter war das grausam. Aber mein Vater ließ sich darauf ein. Er sprach mit mir über ein Leben im Rollstuhl und wie er das Haus umbauen würde. Er erkundigte sich nach den verschiedenen Prothesen, wir löcherten das Klinikpersonal mit Fragen. Und wir erhielten Antworten. Dann – dann erst konnte ich mich der Situation übergeben mit meinem vollen Einverständnis. Ich konnte mich mit verschiedenen Filmen in meinem Kopf über mein Leben mit oder ohne Bein in die Narkose begeben. In den absoluten Verlust der Kontrolle über meinen Körper und meinen Geist. Und das Beste daran war, ich fühlte mich vorher schon als weiterhin angenommenes Mitglied der Familie, egal, ob ich als körperlich ganzer Mensch da wieder rauskomme oder nicht. Denn wir hatten Plan A und B. Dass ich Schmerzen haben würde in beiden Fällen, dass ich kämpfen müssen werde in beiden Fällen, dass ich weiterhin meinen kleinen, liebevollen Freundeskreis brauchen werde und verständnisvolle Lehrer und Lehrerinnen, stand außer Frage. So war der Moment nach dem Erwachen aus der Narkose erträglich, an dem ich meine Mutter bat, die Decke zurückzuschlagen, damit ich sehen konnte, was darunter los war. Und alles, was danach kam, war machbar. Ich hatte mein Bein noch und ich war in der Lage jahrzehntelang dafür zu kämpfen, es benutzen zu können.Anders war das bei den beiden Operationen davor, als meine Eltern noch autoritätsergeben waren und ich mit fünf und mit zehn Jahren für mich planlos und von oben herab in die Narkose katapultiert wurde. Das Ergebnis war, dass Teile meiner Seele bleiben wollten in dieser wunderschönen, liebevollen Zwischenwelt und man alle Mühe hatte, mich wieder zurück zu holen.

Ich habe nicht nur das große Glück, dass Menschen mir ihre Tiere u.a. in solchen Situationen anvertrauen. Weil ich es genau überprüfen wollte, bin ich sogar mit in zahlreiche Narkosen gegangen. Das ist jetzt vielleicht schwer zu verstehen. Ihr könnt euch das so vorstellen, dass ich selbst all meine Systeme an das jeweilige Tier abgegeben habe, während ein anderer Teil von mir Beobachterin blieb. So konnte ich exakt protokollieren, was das Tier körperlich, geistlig und seelisch durchlebt während der Narkose. Meine Wahrnehmungen wurden auf die Minute von der Tierärztin bestätigt.Weil ich den Unterschied kenne durch eigene Erfahrung und durch die mir anvertrauten Tiere, ihr Lieben, finde ich es fair und notwendig, unsere vierbeinigen Familienmitglieder bis ins kleinste Detail vorzubereiten auf alles, was auf sie zukommt. Sie haben das Recht zu erfahren, was mit ihnen geschieht, warum und wie. Sie haben das Recht zu erfahren, wer wo auf sie warten wird und wie das Leben für sie nach einem Eingriff weitergeht. Und da spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Zahnsanierung handelt oder um eine größere Operation.

An dieser Stelle richte ich wieder einmal erfüllten Herzens meinen Dank an all die Menschen, die das verstehen und im Sinne ihrer Tiere entsprechend handeln.

In diesem Sinne, bleibt bei euch und in der Liebe,

eure Claudia M. Struwe