Simon. Mein Bruder. Der erste Blick in deine Augen veränderte meine Welt!
Gefährte, Begleiter, Wegweiser, Weltenöffner, Mitarbeiter, Heiler, Psychologe, Sozialarbeiter. Simon. Der Hund an meiner Seite. Rumänischer Kämpfer auf drei Beinen, Wald-“Besitzer“, Revierverwalter, Ordnungshüter, Bandenchef, Rüde-Rüde.
Vierzehn Tage sind es heute her, dass deine Seele den Hund an meiner Seite zum zweiten Mal verlassen hat. “Dieses Mal wird unser gemeinsamer Weg nicht wegen meiner Beine enden.“, gabst du mir im Mai 2023 zu verstehen, als ich weitere Möglichkeiten suchte, dir deine Schmerzen zu nehmen. Alle Optionen schienen ausgeschöpft, sodass dir nur noch der kurze Weg in den Garten blieb, den du eigenbeinig gehen konntest. Ins Haus musste ich dich oft zurücktragen. Immer wieder hast du meine Gedanken unterbrochen, wenn ich dich bat, mir den passenden Moment zu zeigen. “Es geht mir gut, lass mich noch hier.“ Selbstverständlich erfüllte ich dir diese Bitte, zumal ich fühlte, dass du auf etwas wartest, was du mir nicht verrätst. Obwohl das Wissen deines nahenden Todes über uns schwebte, hatten wir noch einige wunderschöne, innige, liebevolle, fröhliche Monate. Die Traurigkeit, die mich von Zeit zu Zeit überkam bei dem Versuch, mir ein Leben ohne dich vorzustellen, wischtest du lächelnd mit einem Schwanzwedeln beiseite. Du ließest es dir nicht einmal nehmen, trotz deiner zunehmenden Schwäche so manchem deiner zwei- und vierbeinigen Freunde bei unserer Arbeit Herz und Augen zu öffnen. Dass du nicht mein einziger Patient warst, störte dich nicht. Verständnisvoll und geduldig teiltest du meine Aufmerksamkeit mit den anderen. Wenn in so manchen Nächten meine Blicke durchs Fenster in der stillen Dunkelheit des Waldes Geborgenheit tankten, drücktest du deinen Rücken an meinen Bauch, nahmst mich mit in deine Atmung und wir glitten gemeinsam in den Schlaf. Auch wenn ich dabei zunehmend den leisten Pfeifton aus deiner Lunge wahrnahm, fühlte ich zusammen mit dir dieses tiefe Vertrauen. Wir waren geliebt, beschützt und geführt.
Doch dann wurde ich vom Leben überrascht. Es stellte nun mich an die Schwelle meiner eigenen körperlichen Existenz. „Ich nehme das mit, wenn ich gehe“, begann unsere Diskussion, nach der du mich glauben ließest, meine Ansage akzeptiert zu haben. In Wahrheit aber hattest du schon den Plan in der Tasche. Dank der Wachsamkeit und Fürsorge meiner Tochter und des schnellstmöglichen Einsatzes meines Arztes konnte ich bald das Ruder meines Lebens und eurer Obhut wieder selbst in die Hand nehmen.
14.März 2024. Du atmetest schwer. Dreißig Atemzüge in der Minute. Mir wurde unbehaglich zumute. Draußen schien die Sonne. Ein einziger Sonnentag, umrahmt von tristen Regentagen, für dich! Langsam und dankbar legtest du dich in dein weiches Bett, das ich dir auf der Terrasse gerichtet hatte. Ich kenne niemanden, der die Sonne so sehr genießen kann, wie du es getan hast. Unsere Augen trafen sich und verweilten ineinander. “Du wirst nicht leiden!“, versprach ich. Einundvierzig Atemzüge. Dein Blick folgte mir, als ich in unser Häuschen ging, um Clara anzurufen. “Mama, es wird Zeit.“, bestätigte mich meine Tochter. “Fährst du mit? Dieses Mal brauche ich dich für den Rückweg.“, bat ich sie. Ungewöhnlicher Weise war das Wartezimmer leer. Ein kurzer Austausch mit der Tierärztin machte den Weg frei für die finale Entscheidung, – für deine Freiheit. Von nun an galt unsere stille Aufmerksamkeit dir allein. Während sie schweigend alle Vorkehrungen traf, wiegte ich dich in meinen Armen, wie ein Baby. Ja, ich musste ein paar tiefe Atemzüge nehmen, um nicht zu weinen. Es ging jetzt nicht um mich. Du brauchst mich stark. Ich bin dein Halt. Das ist das Mindeste, was ich dir zurückgeben kann für elf wundervolle Jahre meines Lebens! Ich bin dein Anker, dein Boden, von dem aus du deinen freien Flug starten wirst. Die erste Nadel mit der Narkose saß und während die Flüssigkeit langsam in dich eindrang, drehtest du, fest in meinen Armen liegend, deinen Kopf so weit nach hinten, wie nur möglich und suchtest mit deinen klaren Augen meinen Blick: “ Geh mit mir mit!“, sprachen sie, “Ich liebe dich unendlich.“ “Ja, mein Bruder, ich gehe mit.“, antwortete die Liebe in mir. Und so begleitete ich dich, meinen Gefährten, Begleiter, Wegweiser, Weltenöffner, Mitarbeiter, Heiler, Psychologen, Sozialarbeiter, den Hund an meiner Seite, den rumänischer Kämpfer auf drei Beinen, Wald-“Besitzer“, Revierverwalter, Ordnungshüter, Bandenchef, Rüden-Rüden bedingungslos und ewig liebend zurück in seine Heimat. An der Schwelle zur Ewigkeit überließ ich dich dem freien Flug ins Über-All, wo wir uns eines Tages wieder finden werden. Ich kehrte zurück in mein Leben zu meinen anderen Wegbegleitern, Gefährten, geliebten Familienmitgliedern. Du wirst nicht mehr zurückkehren. Nicht als Hund, Katze, Vogel, was auch immer. Du bist frei in Ewigkeit und das erfüllt mich mit unendlicher Freude. Ich bin um einen Hund ärmer und um so viel Unaussprechliches, Grenzenloses reicher. Deine drei Mädels und auch ich, wir werden Zeit brauchen, um uns neu zu strukturieren. Doch wir sind auf einem guten Weg. Immerhin sind wir gut begleitet von einer fachkompetenten Seele aus dem Himmelreich.
Simon. Mein Bruder. Der letzte Blick in deine Augen veränderte meine Welt.
Deine dich ewig liebende Schwester (Claudia Maria Struwe)